Florenz – Teningen

Florenz – 122km – Bologna – 133km – irgendwo am Po – 174km – Como – 82km – Bellinzona – 93km – Haspental – 130km – Beil am See – 99km – Rheinufer – 71km – Teningen

Drei Nächte blieb ich in Florenz. Ich wollte meinen Geburtstag nicht feiern, während ich irgendwo im Busch kampiere. So richtig feiern konnte ich zwar auch nicht. Den Abend vor dem 4. September verbrachte ich aber richtig schön mit einer Gruppe junger Belgier und mal wieder viel zu viel Wein.

Der Heimweg begann mit meiner zweiten Appenninenüberquerung. Körperlich erholt und vom Kopf her in freudiger Erwartung auf die Schweiz und Deutschland schaffte ich die 122km Etappe nach Bologna in einem einzigen Tag. Die meiste Zeit ging es über ruhige Straßen die Berge hinauf. Von dem auf 80m gelegenen Florenz über zwei Pässe um die 900m und wieder runter in die Po-Ebene. Auf der ersten Passhöhe fand ich zu meiner großen Überraschung einen deutschen Soldatenfriedhof. 30.000 1942 in der Emilia Romana gefallene deutsche Soldaten liegen dort begraben. Ein eindrucksvolleres Mahnmal, auch in seiner Schlichtheit, habe ich noch nicht gesehen.

Der zweite Pass war quasi für den motorisierten Verkehr gesperrt. Kilometerlang fuhr ich also auf einer buchstäblich verlassenen Straße. Das Wetter war an diesem Tag wieder angenehm. Einige Wolken, aber kein Regen und nicht zu warm.

Die nächsten zwei Tage verkamen zum reinen Kilometermachen. Die Po-Ebene war zu durchqueren. Da ich die eintönige Landschaft schon vorher gesehen hatte und die kleinen Dörfer und Städtchen auch nicht hübscher waren als andere, konnte ich mich ganz aufs Radfahren konzentrieren. Am ersten Tag regnete es fast nur, gegen Abend fand ich in einer Autowerkstatt Schutz vor einem donnernden Unwetter, bevor ich nochmal 40km nachlegte um zwischen Maisfelder die schlimmste Nacht der Reise zu erleben. Ab einer gewissen Zahl von herumschwirrenden Moskitos nützt auch jegliche Chemie nichts mehr. Interessanterweise hatte ich am nächsten Morgen nur einen einzigen Mückenstich im Gesicht. Schlafen konnte ich trotzdem die halbe Nacht nicht.

Meine Kilometerschätzungen auf meiner 1:300 000er Straßenkarte wurden mit der Zeit immer genauer. So war ich nicht überrascht, am Abend des nächsten Tages auf meinem Tacho 174km stehen zu sehen. Eigentlich wollte ich nur bis Monza, mit 137km schon neuer persönlicher Rekord. Doch fand dort eine Woche später der Große Preis von Italien statt. 16 Euro für eine Nacht auf dem Campingplatz waren mir dann weitere 2 Stunden Fahrradfahren wert. Die JH in Como empfing mich auch gebührend mit einer großen Portion Pasta und einer Karaffe Wein. Um neun Uhr abends! Einfach klasse.

In Como traf ich dann auf Kevin. Ein Kanadier, der mit Rad und Bahn durch Europa tourt und gerade auf dem Weg nach Zürich war. Keine Frage, wir wollten zusammen über den St. Gotthard-Pass und dann weiter durch die Schweiz. Nach einer gemütlichen Etappe nach Bellinzona, ich konnte endlich wieder deutsch sprechen, nahmen wir am 9. September die Herausforderung

Seit dem Wiedereintritt in die Schweiz konnten wir wieder den ausgeschilderten Velolandrouten folgen. Auf ruhigen schmalen Straßen und Feldwegen führt die Route Nr.3, oft im Zick-Zack-Kurs, durch die Alpentäler. Airolo erreichten wir erst am Nachmittag. Von dort führen 3 Straßen über den Pass in Richtung Andermatt. Eine Autobahn, eine neue Schnellstraße und die alte Passstraße. Wir fuhren natürlich auf letzterer. Nostalgisches Kopfsteinpflaster führt bis fast nach ganz oben. Das wahre Problem des Tages war aber wiedermal das Wetter. Den ganzen Tag war es schon recht kühl gewesen, immer wieder hatte es geregnet. Dem Himmel näher kommend wurde es natürlich noch kälter. Der Nebel wurde dichter, gesehen haben wir praktisch nichts. Die Straße war aber glücklicherweise nicht so steil wie beispielsweise der Splügenpass. Mit unermüdlicher Kurbelei gelangten wir denn schließlich auf die Passhöhe. Es wurde schon dunkel. Für das Erinnerungsfoto konnten wir einen deutschen Caravanfahrer verpflichten. Ansonsten war nämlich gar niemand da oben.

Danach schnell alle Wind- und Regensachen angezogen und die Abfahrt nach Haspental konnte beginnen. Wir teilten die Jugendherberge mit einer jungen Deutsch-Schweizer-Familie und einem einsamen Wanderer. Wir hatten vergessen einzukaufen und waren deshalb sehr froh über die Reste an Nudeln und Bratensoße, die die kleine Küche zu bieten hatte. Viel braucht es halt nicht um glücklich zu sein.

Die Alpenabfahrt war wieder enttäuschend. Schuld war der dichte Nebel, der jegliche Panoramasicht verhinderte. Es regnetet weiterhin und wurde nicht besser bis ich wieder in Deutschland war. In Beil am See trennten sich Kevins und meine Wege wieder. Mittlerweile ist er in Chamonoix auf der Suche nach einem Job für den Winter.

In Basel angekommen galt mein einziges Augenmerk der nächsten Zollstation. Irgendwie war es doch ein gutes Gefühl wieder nach Deutschland zu kommen. Wenn ich unterwegs Heimweh hatte, dann wohl eher nach Deutschland als Ganzem, denn nach Munster im speziellen. Zum einen liegt es wohl an der Sprache selbst. Zum anderen unterliegt im Ausland speziell die Kommunikation mit Fremden immer einer gewissen Unsicherheit. Menschen unterschiedlicher herkunft können die selben Worte verwenden, aber doch etwas ein wenig anderes meinen. Bei intensiver Nutzung der englischen Sprache, wie es europaweit in Jugendherbergen eingentlich unvermeidbar ist, verlieren die Gespräche außerdem meistens die gewisse Nuoncierung in der Ausdrucksweise. In Deutschland gibt es diese Probleme nicht. Wenn ich hier etwas sage, weiß ich ganz genau, ob mein Gegenüber mich verstanden hat oder nicht. Es gibt einfach gewisse Grundsätze in jeder Gesellschaft, die zwar keinem bewusst sind, auf die man sich aber einfach verlassen kann. Und das gibt ein Gefühl der Sicherheit, welches auch ich immer erst wahrnehme, wenn ich mal wieder im Ausland unterwegs war.

Angekommen in Deutschland kaufte ich erstmal Bier, Chips und eine SportBild ein, aß mich bei McDonalds so richtig satt und suchte mir ein schönes Fleckchen für mein letztes Nachtlager. Bei nur drei zu tötenden Mücken, Abendsonne und entspannter Nachtlektüre wurde dieser letzte Abend zu der besten Nacht unter freiem Himmel der gesamten Tour. Ganz entspannt nahm ich die letzte Etappe nach Teningen in Angriff. Beinahe schon routinemäßig strampelte ich die 70km ab, so dass ich schon um 13 Uhr, pünktlich zum Mittagessen, ankam.

Nun war es zu Ende. Fünf einhalb Wochen unterwegs. Viele Enttäuschungen ließen sich nicht vermeiden. Aber meinen großen Traum der ersten großen Radreise und die Eroberung Roms habe ich wahrgemacht. Die 2840 Gesamtkilometer betrachte ich im Nachhinein mehr als Nebenprodukt dieser langen Reise. Als Motivation diente mir hauptsächlich auch nicht die Freude am Radfahren, bzw. die damit verbundene Schinderei, sondern die Suche nach einer Möglichkeit des Reisens, die Urlaub, Städtebesuche und vor allem die Entdeckung der Landschaften außerhalb der Städte miteinander verbindet. Billig sollte es natürlich auch sein, wobei sich dies auch immer relativiert sobald man feststellt wie gut zum Beispiel Guinness schmeckt, direkt vom Fass in nem Pub in Limerick versteht sich.

Nach diesem Sommer kann ich beruhigt feststellen, dass ich diese Möglichkeit gefunden habe. Die nächste Radreise ist schon in Planung. Inwieweit mein Studium dies zulässt ist noch fraglich, aber träumen kann man ja immer. Wenn es soweit ist soll es bald nach Masuren in Ostpreußen gehen. Abgesehen von der schönen Landschaft möchte ich einmal dorthin wo mein Großvater herkam. Mal sehen was die Zukunft bringt.