Nun ging also das Radfahren los. Dier ersten zwanzig Kilometer die Stadt hinaus musste ich erstmal überschüssige Energie loswerden. Ein 24+ Schnitt über eine Stunde, meistens bergan. So kommt man voran. Am Ende des Tages standen auf meinem Tacho 146km.18er Schnitt über 8 Stunden. Cola sei Dank. Die Kaschubische Schweiz hatte es mit ihren Hügeln schon in sich. Da schmeckte das Bier am Abend mal wieder dreifach gut. Gut, dass der Campingplatz in ¥eba einen kleinen Laden dabei hatte!
In ¥eba verabschiedete ich mich von dem Gedanken meinen Gaskocher in Zukunft ausgiebiger zu nutzen. 3 Euro für nen großen Hamburger, Pommes und ein großes Bier waren mir jeden gesparten Abwasch wert. Den besten Hamburger gab es in Ustka. Und gerade den konnte ich nicht richtig genießen, weil an meinem Tisch ein nettes Radlerpärchen aus Lörrach saß. Da wir in entgegengesetzter Richtung unterwegs waren, musste natürlich einiges an Informationen ausgetauscht werden.
Von Danzig bis zur Grenze nach Deutschland brauchte ich vier einhalb Tage. Meistens hielt ich mich nahe der Küste und fuhr abends die Ostseebäder an. Campingplätze gab es viele, und das Meer war zum Schwimmen einfach toll. Das erste mal testete ich das Wasser in Ustka. Ich war den ganzen Tag durch den Slowinzischen Nationalpark geradelt, da traf ich am erst besten (vor allem war es der erste!) Campingplatz zwei Radler aus der Slowakai. Nach dem Abendessen gingen wir gemeinsam auf der Promenade promenieren. Ganz vertrauensselig konnte ich so auch noch eine Runde schwimmen gehen. Nicht nur weil es dunkel war sah ich nichts, doch im Meer zu Baden war mal wieder toll.
Es ist ein riesen Spaß ältere Herren auf sportlichen Fahrrädern zu reizen, indem man sich mit dem schwer bepackten Rad in ihren Windschatten hängt und einfach dranbleibt. Sie werden dann bis kurz vor dem Zeitpunkt, an dem man selbst nicht mehr kann, versuchen dich abzuhängen. Diesen Spaß hatte ich also am nächsten Abend, etwa bei Kilometer 80. Die beiden netten Polen gaben nach ein paar Kilometern auf, wir kamen ins Gespräch und fuhren schließlich die letzten 20 Kilometer zu meinem anvisierten Tagesziel gemeinsam zu Ende.
Einen weiteren anstrengenden Radeltag später verbrachte ich meine letzte Nacht in Polen in Dziwnów, natürlich wieder am Wasser. Einige meiner letzten Slòty verwendete ich auf ein riesiges Stück Heilbut, und das Bier schmeckte auch mal wieder sehr gut.
Ich hatte an diesem Tag das erste mal richtig heftigen Gegenwind gehabt. Das erste mal überhaupt auf großer Tour. Nicht in Italien, nicht in der Schweiz, nirgends in Polen konnte ich das Phänomen des steten Winds, der ja bekanntlich immer von vorne kommt, erleben. Ich kannte es natürlich. Im August ´99, auf meiner allerersten Tour, auf dem Weg nach Schleswig-Holstein windete es stetig aus Norden. Nach zwei Radeltagen lag ich dann drei Tage lang regungslos in einem Sonnenstuhl am Vierersee in der Nähe von Plön. Muskelkater ist ja sowas Schönes!
Mein Zelt hatte ich aus Respekt vor der warmen Morgensonne unter einer Baumgruppe aufgestellt. Naja, das war unnötig gewesen. Das Radio begrüßte mich am Morgen mit der denkbar schlechtesten Meldung für mich: Kräftiger Wind aus Nordwest, Stärke 5 bis 6. Toll, genau da wollte ich hin! Dazu waren auch noch Schauer angesagt. Egal, muss ja. Aber wieso kamen mir andauernd diese freundlich dreinschauenden, flott dahinstrampelnden Radlergenossen entgegen? Einer hat nicht so freundlich geguckt. Er war mit nem schönen alten Hollandrad und wenig Gepäck unterwegs. Muss ein Engländer gewesen sein.
In Swinemünde verfuhr ich mich natürlich wieder. Die Schilder Richtung Grenze waren einfach nicht groß genug für mich. Das bescherte mir aber eine sehr leckere Currywurst und die erste deutsche Zeitung seit langem, am erstbesten (diesmal stimmt´s auch!) Imbiss den ich so fand. Kurz danach war ich an der Grenze und stellte mich in die Warteschlange. Es war Mariä Himmelfahrt und eine Menge Leute im kleinen Grenzverkehr unterwegs. War aber auch nicht schlimm, denn so lernte ich Michael aus München kennen. Er wollte nach Rügen, ich auch so ungefähr die Richtung, und wie das Radlerleben so spielt trennten sich unsere Wege erst am nächsten Morgen wieder. Klingt das jetzt unanständig? War es nicht. Wir fuhren gemeinsam über ein wirklich schönes Fleckchen Erde namens Usedom. Immer gegen den Wind natürlich. Wolgast war nett, hatte aber keine bezahlbaren Betten mehr zu bieten. Was folgte war eine dieser Glückszufallsgeschichten, die einfach nur auf Tour passieren.
Enttäuscht entschieden wir uns weiter nach Nordwesten zu fahren. Da wo der Wind herkam. Ich hatte ja immer noch die Option auf eine Nacht im Zelt. Nach knapp acht Kilometern hielten wir einfach mal an und klingelten an einem Bauernhaus neben der Straße. Die ältere Dame wusste gleich was los war. Nach zwei Telefonaten war klar, Wolgast hatte doch noch ein Zimmer für uns. Ihre Nichte vermietet privat Ferienzimmer. Die waren zwar alle voll, dafür der Sohn aber nicht zu Hause. Also räumte sie sein Zimmer aus und wir hatten eine sehr angenehme und dazu auch noch günstige Schlafstätte. Den Weg zurück schafften wir in einer knappen Viertelstunde, auf dem Hinweg hatten wir das dreifache gebraucht. Blöder Wind.
24 Stunden nachdem wir uns kennengelernt hatten war Michael schon lange auf Rügen und ich kurz vor Stralsund. Die Strecke zwischen Greifswald und Strahlsund bietet die Antwort auf die Frage, ob es etwas schlimmeres geben kann als Gegenwind: Gegenwind und Kopfsteinpflaster. Nach 30 Kilometern mit dieser Kombination hatte ich genug, da stieg ich lieber in der Jugi ab und verbrachte den Rest des Tages in Angela Merkels Wahlkreis.
Drei weitere Tage fuhr ich die deutsche Ostseeküste entlang, ohne aber störisch dem meist ganz gut ausgeschilderten Fernradweg zu folgen. Ich wollte ja auch mal ankommen. Ich aß Bratwurst auf dem Fischerfest in Ribnitz, zeltete auf einem Bauernhofcamping nahe Kühlungsborn, sah mir Wismar an, wurde von einem empörten Autofahrer kilometerlang verfolgt, ging Baden in der Ostsee, fuhr einen halben Tag im Regen, durchquerte die Holsteinsche Schweiz und erreichte schließlich Kiel. Würde ich das alles hier her schreiben hätte ich ja keine Anekdoten mehr auf irgendwelchen Partys zu erzählen.Polen028_Kiel
Nach zwei Tagen bei meinem Cousin Thorben in Kiel ging die Verwandtenbesuch-Tour weiter. Den Nord-Ostsee-Kanal entlang ging es nach Rendsburg und von dort am nächsten Tag zu meiner Oma nach Neuendorf bei Elmshorn. Nicht nur mich, auch meinen Geldbeutel freute dieser Teil der Reise natürlich sehr.
Ein Schmankerl wartete am vorletzten Tag noch auf mich. Ich traf Tristan aus Halstenbek, einen Radler wie ich, den ich im Internet kennengelernt hatte. Den Tag verbrachten wir mit Diashows, Reiseberichten aus erster Hand und Fachsimpeleien über Fahrräder und Benzinkocher.
Ja, es gibt sie überall diese Verrückten. Auch die Träume sind oft dieselben: Nordkap, Istanbul, Indien.. alles dabei.
Von Halstenbek nahm ich am nächsten, also letzten, Morgen die S-Bahn durch Hamburg auf die andere Seite der Elbe. Noch ein paar Stunden Strampelei durch die Harburger Berge und die Lüneburger Heide und ich war wieder zu Hause. Dort genoss ich unsere Terasse bis mein Vater heim kam und mich reinließ. Ich kam ja nur zu Besuch.
Florian Posdziech, November 2003